Die Geschichte des Kinos

Im Jahr 1899, vier Jahre nachdem die Brüder Lumière in Paris die erste Kinovorstellung durchgeführt hatten, öffnete in Zürich die “Panoptikum AG” ihre Pforten. Mit diesem Automaten- und Kuriositätenkabinett war auch in der Schweiz der Grundstein für die wichtigste Unterhaltungskunst des 20. Jahrhunderts gelegt. Inhaber Jean Speck (1860 – 1933) war ursprünglich Schuhmacher und anschliessend viele Jahre Wirt im “Weissen Kreuz”, “Schwänli” und später “Löwenhof”. Er träumte auch davon, einen Zirkus zu leiten, avancierte aber schliesslich zum Pionier der Vergnügungsbranche. Sein Faible für exzentrische Menschen war legendär und es gelang ihm immer wieder, die Sensationslust des Publikums zu befriedigen – mit Zwergen, Wachsköpfen, wagemutigen Fakiren und schwarzen Tänzerinnen. Am 25. Dezember 1899 bot Speck dem staunenden Publikum eine wahre Sensation: Er führte dreiminütige Filme vor und löste damit im ersten sesshaften Kino der Schweiz Begeisterungsstürme aus.

Panoptikum und Museum
 
Kinematographen
Der am 12. April 1907 eröffnete Kinematographen.
Jean Speck

Am 15.Juni 1906 fand übrigens die letzte Vorstellung im Panoptikum und Museum statt. Jean Speck wurde danach Träger der 1. Stadtzürcherischen Kinolizenz, welche er für den am 12. April 1907 eröffneten Waisenhausgasse Kinematographen erhielt. Dieses war zwar eigentlich eher ein Miniaturkino, noch ohne Klappstühle und nur mit ansteigend geordneten Bänken ausgestattet, und die Filme dauerten gerade mal 15 Minuten. Diese Tatsache tat dem Andrang jedoch keinen Abbruch, standen doch spannende Titel wie “Der serbische Königsmord” auf dem Programm. Der durchschlagende Erfolg ermunterte den cleveren Kinobetreiber zu expandieren. 1908 eröffnete er in Rorschach das “Specks Eden Theater” beim Kettenhaus, dessen originellen Vorführungen in weiten Kreisen Renommee erlangte.

Der Rubel rollte und es gelang Jean Speck, 1912 das erste exklusiv auf Film spezialisierte Lichtspieltheater der Schweiz zu eröffnen, die Palace-Lichtspiele im Zürcher Kaspar-Escher-Haus. Die Traumwelten auf Zelluloid zogen die Zuschauer derart in ihren Bann, dass ein einzelnes Lichtspieltheater nicht mehr ausreichte, um den Ansturm zu bewältigen. Speck eröffnete mit dem “Lichtspiel und Variete Speck”, dem “Kinematographen Sihlbrücke”, dem “Excelsior” in Oerlikon, dem “Kino Seefeld” (später Razzia), das “Kinematographentheater Olympia” und schliesslich am 31. Oktober 1929 sein letztes Haus, das “Piccadilly” am Stadelhofen. Im Jahre 1913 gründete Jean Speck zudem einen eigenen Filmverleih, nämlich die “Projektions Helvetia AG”.

Eden
Specks Eden Theater
Speck Plakat
 
Piccadilly
 

Damit schuf der visionäre Unternehmer in Zürich innert drei Jahrzehnten das erste Schweizer Kinoimperium – ein Geschäftsmodell, das in anderen Städten kopiert wurde und vielerorts bis heute erhalten blieb. Das Kino war damals die erschwingliche Kunst des kleinen Mannes und erfreute sich vor allem bei Arbeitern und Einwanderern grosser Beliebtheit. Beim Theater liebenden Bildungsbürgertum hingegen war es verpönt und manche Pfarrer und Ärzte warnten, das Kino mit seinen illusionären Traumwelten und den lasziven Stummfilm-Diven stelle eine Gefahr für die guten Sitten dar. Um Kritikern und Moralisten ein wenig Wind aus den Segeln zu nehmen, nannte es Speck ein “intimes und vornehmes Familientheater” und programmierte dementsprechende Filme. Apropos Familie: Die Leidenschaft für die bewegten Bilder vererbte sich zum Glück weiter und bereits 1912 trat Neffe Eugen Sterk dem Speck'schen Betrieb bei.

“Was Zürich gut genug ist, kann anderen Städten nur recht sein”: Diesem Motto getreu richtete der polnische Vernickler Adolf Prosicky 1910 in seiner Werkstatt in Ennetbaden ein improvisiertes Ladenkino namens “Kosmos” ein. Unglücklicherweise war ihm der schlechte Ruf des Kinos vorausgeeilt, und so galt das Haus als verrufen ehe es eröffnet hatte. Nichtsdestotrotz lief das Programm und stiess vor allem bei den Jugendlichen aus Baden auf grosse Begeisterung. Dies war der Schulbehörde im katholischen Städtchen ein Dorn im Auge und bald musste das „Kosmos“ aufgrund behördlicher Auflagen schliessen. Dass der Stadtrat daraufhin für Baden ein generelles Kinoverbot erliess, ist eine ebenso amüsante, wie aus heutiger Sicht schier unglaubliche Tatsache.

Kosmos
Royal

Just zu der Zeit, als Baden eine vergnügungslose Zukunft drohte, tauchte eine exzentrische Dame namens Madame Marie Antoine aus Paris-Clichy in der Stadt auf. Sie hegte den verwegenen Wunsch, ein Kino zu bauen und erwirkte durch persönliches Vorsprechen beim Aargauer Regierungsrat die Aufhebung des Kinoverbotes. Und so öffnete am 1. Juni 1913 das Kino “Radium” (später Royal) seine Pforten. Die Einnahmen der Eröffnungs-Premiere spendete Marie Antoine dem Spital und dem katholischen Pfarrkirchenfonds – ein genialer Schachzug. Ein gutes Jahr später verkaufte sie das “Radium” an ihren Pianisten René Marchal, der es während 13 Jahren erfolgreich weiterführte.

Kinounternehmer werden ist nicht schwer, Kinounternehmer sein hingegen sehr: Dieses leicht abgewandelte Sprichwort trifft auf das Kino “Orient” in Wettingen zu. Am 23. Oktober 1923 zunächst durch Baumeister Mattenberger eröffnet, gab dieser die Direktion bereits ein Jahr später an den Kaufmann Karl Strittmatter ab. Offensichtlich fühlte sich auch dieser nicht berufen und trat die Leitung nach einem Jahr an die Ostschweizer Hoteliersfrau Josy Hummel ab. 1928 übernahm schliesslich Dr. Friedrich Witz den Betrieb. Er hatte bereits das Badener „Radium“ von René Marchal übernommen und führte nun die Leinwandhäuser konkurrenzlos. In dieser Zeit erhielt das “Orient” den Spitznamen “Revolverküche”, weil darin vorwiegend Western, Gangster- und Actionfilme gezeigt wurden.

Orient (alt)
Eugen Sterk Elisabeth Sterk

Die Witz'sche Alleinherrscher-Idylle war jedoch bald vorbei. Eugen Sterk (1888 – 1970) hatte nämlich unterdessen seine Sporen im Hause Speck abverdient und strotzte vor Tatendrang: 1920 eröffnete er in Lenzburg das Kino “Löwen-Lichtspiele” und 1922 das “Odeon” in Brugg. 1928 zog es ihn mit seiner Gemahlin Elisabeth (1883 – 1965) gen Baden, wo das gleichnamige Kino am Bahnhof gleich mit grossem Geschütz Premiere feierte: Ein Hausorchester unter der Leitung von Ernesto Malipiero begleitete nämlich den Film, und auf der Bühne gastierte eine achtköpfige Varieté-Starensemble. Der in der Folge ausbrechende Kinokrieg lautete “Witz mit zwei kleinen” gegen “Sterk mit einem grossen Kino” und wurde 1931 mit einer Versöhnung sowie der Zusammenlegung zur Cinés AG beendet. Nach dem Ausstieg von Dr. Witz war die Bahn frei für die Kinodynastie Sterk.

Zum Glück expandierte Eugen Sterk in den folgenden Jahren nicht nur geschäftlich, sondern auch familiär. 1935 trat Sohn Waldemar (1912 -1986) in seine Fussstapfen und baute das Kinoimperium zusammen mit seiner Frau Nelly (1918 – 2014) und seinen Eltern kontinuierlich aus: 1947 eröffneten sie das “Elite” in Wettingen, 1957 folgte ebendort das “Rio” und 1960 in Baden das Kino “Linde”. 1965 trat Sohn Peter in den Betrieb ein und sah sich mit grossen Herausforderungen konfrontiert: Wegen der Verbreitung des Fernsehens hatte sich die Zahl der Kinozuschauer in den 60er-Jahren halbiert. Auch in der Schweiz gab es ein grosses Kinosterben, dem Peter Sterk mit neuen Ideen, einer aktuellen Programmation, vielen Spezialanlässen, innovativ entgegentrat. Es gelang ihm, die Zuschauer in und um Baden nach wie vor in seine Kinos zu locken und das Sterk'sche Imperium mit Gattin Johanna sowie den Eltern stabil weiterzuführen. 1974 stieg schliesslich Schwester Sabine in die Geschäftsleitung ein und war bis zu ihrem Rücktritt 2010 u.a. für die Programmation verantwortlich.

Waldemar Sterk Nelly Sterk

Obwohl das Kinogeschäft in der Schweiz immer stärker von Grossketten geprägt wird, konnten die Sterks ihren Familienbetrieb mit Erfolg erhalten. In den 90er Jahren trat mit Alexandra, Martin und Franziska bereits die vierte Generation in den Betrieb ein. Ein auf den Pioniergeist der Gründerväter zurückgehendes Markenzeichen der Familie Sterk ist der Mut zur Innovation.

Verwaltungsrat und Geschäftsleitung entschieden sich Mitte der 90er Jahren für einen Strategiewechsel. Statt wie bisher mit sechs Einzelkinos wurde das Kino Elite 1997 in ein Triplexkino umgebaut, 2002 das Kino Trafo mit 5 Sälen und einer angegliederten Bar eröffnet und 2008 das Kino Sterk in ein Arthousekino mit 2 Sälen umgewandelt. Mit dieser gewählten und erfolgreichen Strategie, wurden die bisherigen Kinos Linde, Rio und Royal nicht mehr benötigt und diese Liegenschaften verkauft. Das Kino Orient bleibt weiterhin bestehen und wurde an den Verein Orient vermietet.

Kinos Elite

2010 übernahm die 4. Generation mit Alexandra, Martin und Franziska Sterk die Geschäftsleitung. Die Geschäftsführung wird erstmals in unserer Firmengeschichte durch eine Frau, nämlich Alexandra Sterk übernommen. Peter Sterk trat aus der Geschäftsleitung aus und amtet als Präsident des Verwaltungsrates.

Die junge Geschäftsleitung wurde schon sehr bald mit markanten Investitionen konfrontiert, wurde doch in den ersten Jahren ihrer Verantwortung das Digital Kino samt 3D eingeführt, dann in mehreren Sälen das neue System „High Frame Rate“ (statt bisher 24 Bilder pro Sekunde nun deren 48 Bilder), dann die Tonverfahren Dolby 5.1. und Dolby 7.1. Es folgte die Renovation der fünf Säle im Kino Trafo und dem Einbau des neuesten Tonverfahrens DolbyAtmos in den Sälen 1 und 2 (übrigens als erst drittes Kino der Schweiz) sowie der Gestaltung der neuen Kinobar. Zudem wurde die Webside erneuert und ein Kino-App für unsere Firma geschaffen.

Kino Trafo
Kino Sterk

Die STERK CINE AG mit ihren rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat sich aber nicht nur dem Mainstream verschrieben, sie pflegt seit Jahrzehnten auch das künstlerische Kino. Entgegen dem landläufigen Trend werden die Filme mehrheitlich mit untertitelten Originalkopien vorgeführt, womit unsere Firma gemäss Statistik von Procinema den Spitzenplatz in der Schweiz übernimmt. Laut einer Studie des Bundesamtes für Kultur zählt Baden/Wettingen bei den Schweizer Mittelstädten zu jenen Kinoplätzen mit der grössten Angebotsvielfalt, wozu auch der Verein Orient einen Beitrag leistet, der seit 2002 in einer Liegenschaft der Sterks das Programmkino Orient betreibt. Gemessen an den Besucherzahlen des Einzugsgebietes ist Baden/Wettingen sogar einer der besten Kinoplätze der Schweiz.

Die STERK CINE AG ist vollends überzeugt, dass das Kino nicht verschwinden wird, genauso wie das der grossartige italienische Regisseur Federico Fellini in einem wunderbaren Zitat geschildert hat: “Ich glaube, dass das Kino eine Zukunft hat. Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwas verschwinden soll, das zum Schönsten in meinem Leben und dem Leben aller anderen gehört. Ich meine das Ritual, an einen Ort zu gehen, der aussen voller Plakate, Farben und Leuchtschriften ist, hineinzugehen zusammen mit anderen Menschen, Freunden oder einfach anderen Zuschauern, sich hinzusetzen und auf etwas Wunderbares zu warten. Einen grossen Traum, der von allen zusammen geträumt wird. Das ist das Warten auf die Magie der Bilder. Die Beleuchtung geht aus und die Dunkelheit wird von einem Bündel Licht durchschnitten, das geliebte Gesichter, wunderschöne Frauen, unbekannte Orte auf die grosse, weisse Leinwand wirft. Und du findest dich in einer Geschichte wieder. Du magst sie. Du gehst in der Situation vollkommen auf und für zwei Stunden lebst du jenseits deines eigenen Lebens, weit weg von deinen Sorgen und Problemen kannst du in einer anderen Welt und in einer anderen Zeit leben. Das ist Kino. Ich glaube, es wird immer leben. Ich glaube nicht, dass wir uns dieser zauberhaften Möglichkeit berauben wollen, andere Leben führen zu können, ohne uns selbst erinnern zu müssen. Oder andere Orte besuchen zu können oder in anderen Persönlichkeiten zu fühlen und zu denken. Solange Leute nicht nur nachts und zu Hause privat in ihren Betten Träumen, privat träumen wollen, sondern dies auch öffentlich mit anderen tun wollen, solange es solche Leute gibt, wird das Kino eine Zukunft haben.”

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